Durchgang. Geschichte und Theorie transitorischer Räume

Projektprofil und Forschungsziel in 10 Sätzen

Das Projekt erforscht theoriegeleitet die historischen und aktuellen Bedeutungen transitorischer Räume in der Moderne (19.-21. Jahrhundert). Dabei wird eine Perspektive, die im frühen 19. Jahrhundert ansetzt, mit einem Anspruch auf Gegenwartsdiagnose zusammengeführt. Als transitorische Räume werden architektonische und urbane Ensembles verstanden, die für den Durch- und Übergang von Menschen konzipiert sind. Ziel ist es, erstmals eine kohärente Darstellung der Geschichte und Theorie transitorischer Räume in der Moderne vorzulegen. Eine entsprechende Doppelstudie baulicher bzw. städtischer Durchgangsräume ist deshalb geboten, weil sie in funktionaler und symbolischer Hinsicht zentral für die sich seit dem industriellen Zeitalter rapide modernisierenden Gesellschaften der westlichen Hemisphäre sind. Auch bei der beschleunigten globalen Vernetzung mit ihren Facetten wie Verkehr, Handel oder Migration haben sie stets eine essentielle Rolle gespielt. Sie stellen also zentrale Plots und Spots der Verwandlung der Welt durch Interaktion dar. Das Projekt wird die Hauptkennzeichen transitorischer Räume begriffsgeleitet an markanten Beispielen diskutieren. Es will die ihnen in der gesellschaftlichen Aneignung und theoretischen Diskursivierung jeweils zugewiesenen Hauptfunktionen analytisch rekonstruieren. Dabei sind aber auch die ihnen ein- und zugeschriebenen Programme auf Autosuggestionen und Selbstbestärkungsrhetoriken kritisch zu hinterfragen.

Leitung und Beteiligte:  

  • Prof. Dr. Markus Dauss
  • Leonard Borowski M.A.
  • Livia Spitz (Hilfskraft)

Mittelgeber:

  • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Laufzeit:

  • Förderung seit 2017
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© Markus Dauss

Übersicht

  • Fünf forschungsleitende Thesen
  • Methodik/Forschungsdesign
  • Fünf Stationen der Forschung
    • (Kopf-)Bahnhof
    • Passage / Mall
    • Commercial Strip /Entertainment zones
    • Immigration Station / Räume für Geflüchtete
    • Flughafen
  • Publikationen aus dem Projektzusammenhang

Fünf forschungsleitende Thesen

Ausgangspunkte für das konkrete Arbeitsprogramm sind fünf Beobachtungen:

  1. Die Erfahrung von Durch- und Übergängen ist konstitutiv für die westlichen Gesellschaften ab der industriellen Moderne. Die zentrale Rolle von Aufbruch und Mobilität wird seitdem immer wieder als gleichsam gesamtgesellschaftliche Mobilmachung erfahren und beschrieben.

  2. Den dadurch ausgelösten realen oder wahrgenommenen Transformationen korrespondieren neue Raumformen und -konzepte. Als ihre markantesten Exponenten gelten seit Beginn des 19. Jahrhunderts konstruktiv bestimmte Bauten. Im Gegenzug werden klassische Bestimmungen von Architektur als Baukunst dadurch herausgefordert. Primär geboten scheint es nun den zentralen Akteuren und Diskursmächtigen, leichte, zeitgemäße Hüllen für soziale, kommerzielle und technische Prozesse zu entwerfen.

  3. Trotz der Gegenwehr des auf Tradition bauenden, Geschichte zitierenden Historismus beginnen akademische Konzepte zu erodieren. Zwar gibt es bemerkenswerte theoretische wie baupraktische Vermittlungsversuche zwischen herkömmlicher Monumentalität und den Ansprüchen einer ‚neuen‘, buchstäblich bewegten Zeit. Grundsätzlich entsteht aber ein gesteigerter Begründungsbedarf für die Wahl eher statisch-geschlossener Konzepte.

  4. Im Umkehrschluss folgt draus: Zentral für die diskursive wie symbolische Selbstbeschreibungen der industriellen Gesellschaft sind nun nicht nur emphatisch besetzte Parameter wie permanente Bewegung, gesteigerte Zirkulation, ja vor allem unbeirrbarer ‚Fortschritt‘ als ‚Durchgang‘ zur (besseren) Zukunft; vielmehr sind die sie verkörpernden, als innovativ geltenden Raumkonzepte ebenso entscheidend. Im Grunde gilt das auch noch für die postindustrielle und -geschichtliche Dienstleistungs- und Netzwerkgesellschaft des sog. Westens – sie ist nur scheinbar unräumlich verfasst. Nichts erweist das deutlicher als die brandaktuelle Diskussion um die Offenheit oder Abschließung ihrer Außenränder.

  5. Transitorische Orte der Moderne waren programmatisch eigentlich für Massengesellschaften, seltener für exklusive Nutzerkreise geschaffen. Prinzipiell konstituieren sie sich dennoch immer auch durch partielle soziale Ausschlüsse. Auch das ist ein Faktor, der gerade wieder in den Debatten um den grundsätzlich restringierten Zugang zur Zone westlicher/europäischer Länder bestimmend ist.
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Methodik/Forschungsdesign

Eine Rekonstruktion der gesellschaftlichen Konzepte von Transitorik sowie ihrer konkreten Verräumlichung muss sich auf die Selbstbeschreibungen von Gesellschaften einlassen, die sich primär als durch Mobilität gekennzeichnet entwerfen. Zugleich aber muss sie deren Rhetoriken und Mythen kritisch dechiffrieren. Klassische architekturhistorische Lesarten und kulturwissenschaftliche Reflexionen sind dafür zusammenzuführen. Mit zu bedenken sind auch diverse soziokulturelle Aneignungsweisen transitorischer Räume: Eisenbahnreisen, Flânerie, Shopping, aber auch automobile Bewegung, globaler Flugtourismus und grenzübergreifende Migration bzw. Flucht. Desgleichen sollen widerständige bzw. spielerische Durchkreuzungen ‚rationaler‘ Planung transitorischer Räume sowie ihrer kommerziellen Nutzung Teil des geplanten Tableaus sein. In den Fokus kommen darüber auch Stockungen, Verwerfungen und Risse im nur vermeintlich universellen Flow moderner Transitprozesse. 

Daraus folgt eine zentrale methodische Prämisse des Projekts: Modernisierung wie Globalisierung sind nicht als homogenisierende, egalisierende Prozesse und schon gar nicht als monolithische Phänomene zu verstehen. Eher müssen sie als häufig hierarchisch operierende Transformationen gelten, konstituieren sie doch asymmetrische Weltverhältnisse. Gemeint sind etwa lange anhaltende Zentrum-Peripherie-Gefälle, selbst wenn deren Rekonfiguration wiederum Teil der angestoßenen Prozesse werden kann. Zwar beschränkt sich auch die geplante Untersuchung pragmatisch zum größeren Teil auf exemplarische transitorische Orte in der ‚westlichen Welt‘. Das ist aber gerade nicht als Reproduktion eines im weiten Sinne verstandenen Eurozentrismus und seiner Modernekonzeption miss zu verstehen. Vielmehr will das Vorhaben umgekehrt einen Beitrag zu einer verstärkt kritischen Selbstreflexion derjenigen Zone leisten, von der wesentliche Impulse zur weltweiten ‚Mobilmachung‘ ausgingen.

Nur wo dies in den Räumen selbst schon angelegt ist, wird der analytische Rahmen auf die globale Welt geweitet. Das gilt etwa für die als international hubs verfassten Architekturen von großen Airports. Sind sie doch ein zentraler Standortfaktor, wenn Metropolen oder Megalopolen als global cities wahrgenommen werden wollen. Das betrifft aber auch die Nadelöhre der Migration wie historische immigration stations. Ihre Funktion war es etwa, transkontinentale Migration in das klassische Einwanderungsland des 19. Jahrhunderts, die USA, zu kontrollieren. Analoges kennzeichnet die Räume, die aktuell zur Erfassung, Untersuchung, Beherbergung und eventuellen Weiterleitung von Flüchtlingen/Asylbewerbern in Europa/Deutschland zur Verfügung gestellt werden. Diese auf lokaler Ebene angesiedelten Aufnahmeräume können nur mit Blick auf die aktuell gesteigerten globalen Migrations- und Transitprozesse mit ihrer grenzüberschreitenden Dynamik studiert werden. Mit zu diskutieren ist dabei also auch, ob bzw. wie genau dadurch etablierte Raumkonzepte herausgefordert werden – etwa dasjenige eines abgeschlossenen westlichen/europäischen Raumes. 

Die in transitorischen Räumen sichtbar werdenden Verwandlungsprozesse sind keinesfalls beendet. Heißt das für das Forschungsdesign, dass Epochenschwellen hinfällig sind? Die multiperspektivische Globalgeschichte betont ja, dass die Geltung von derartigen Zäsuren in ihrer räumlichen und sektoriellen Reichweite (politisch, ökonomisch, medienhistorisch etc.) differenziert betrachtet werden muss. Diese Einsicht greift das Projekt auf: Die Persistenz bzw. Modifikation älterer Raum- und Performanzmuster, etwa sakraler oder ritueller Art, bezieht es explizit mit in die Betrachtung ein. 

Zugleich hält es aber die Grundthese aufrecht, dass am unteren Ende des 19. Jahrhunderts eine schwellenartige Kulmination immenser Umbrüche stattfand: Seit Jahrhundertbeginn beschleunigte sich die industrielle Dynamik in der Zirkulation von Kapital, Waren und Personen. Die auf dieser Bewegung aufruhende Schwelle bleibt auch dann sehr markant, wenn man schon die Räume der Frühen Neuzeit als stark durch Mobilität bestimmt anerkennt. Aber trotz der Dynamik der damit verbundenen Aushandlungs- und Stabilisierungsleistungen – diese höfische-repräsentative Öffentlichkeit herstellende Bewegung war grundsätzlich regelhaft gebunden und fest normiert. Daran kommen auch neuere Studien zur konstitutiven Rolle von Zeremoniell für die Modernisierung herrschaftlicher bzw. eben entstehender nationalstaatlicher Kommunikation und Legitimation nicht vorbei. Auch sie operieren zwangsläufig mit Zäsuren, etwa dem abrupten Aufkommen einer neuartigen dynamischen Massengesellschaft. Deshalb schaut auch das Projekt nur bis an den unteren Rand des 19.Jahrhunderts zurück.

Fünf Stationen der Forschung

Der Bautypus Bahnhof fungiert nicht nur als Tor zur Welt, sondern auch als Eintritt zum Terrain Transitorik. Die kulturelle Innovation der Eisenbahnfahrt trägt zu Beginn des industriellen 19. Jahrhunderts ruckartig Bewegung in den Raum ein und temporalisiert diesen in bisher ungekannter Weise. Zugleich entwirft sie ihn als Matrix vernetzter Territorien. Die ferroviäre Dynamik war für deren systematische Durchdringung mit Macht wie Öffnung für ökonomische Zirkulationsprozesse zentral. Infrastrukturell verknüpfte Landschaftsräume und auch Teile des Stadtraumes wurden nun buchstäblich im Durchgang erfahren. Als Angelpunkte dieser Linien wie als Scharniere zur Stadt waren die Bahnhöfe selbst davon berührt. Offene Raumformen, innovative, leichte Konstruktionsweisen und auf optimale Zirkulation hin berechnete Pläne reflektieren das. Auf einen immer schneller durchmessenen Transitraum geöffnet, werden die Stationen zugleich zu infrastrukturellen Schlüsselmonumenten der sich modernisierenden Großstädte. Dabei macht die zeitgenössische Wahrnehmung an ihnen vor allem antimonumentale Züge aus. Wie diese Spannung in Großbahnhöfen der westlichen Welt vermittelt wurde, ist vergleichend zu untersuchen. Zu eruieren ist auch die Ambivalenz der Profanität von Räumen, die von hastigen Pendlern in ihren ‚grauen‘ Alltagstrancen bevölkert werden, und der in ihnen durch Typen- oder Stilzitate aufgerufenen Sakralität (‚Kathedralen der Flüchtigkeit‘ oder ‚Basiliken der Mobilität‘). Welche Vorbilder und Anleihen vergegenwärtigen hier welche symbolische Aspekte aus dem Set ‚heiliger Räume‘? Welche Schwellenrituale und Transitionsriten wurden hier ‚zelebriert‘ oder vielleicht auch verdeckt? Wie haben sich die zumeist starken baulich-strukturellen Veränderungen durch die Zeiten darauf ausgewirkt? Dies soll an zentralen Knotenpunkt der sich ab dem 19. Jahrhundert globalisierenden Welt mustergültig aufgezeigt werden. Gerade auch deren selten systematisch dokumentierte spätere Transformationen sollen dabei ausgewertet werden. Sehr aufschlussreich sind bei der genaueren Betrachtung von Bahnhöfen auch die sie reflektierenden Bildkünste. Denn in der Darstellungsweise sind in ihnen durchaus breitere zeitgenössische Wahrnehmungsmuster in hellsichtiger Weise dokumentiert. Medium dafür ist gerade nicht nur die Hochkunst, sondern auch die populäre graphische Illustration. Dort wird etwa die Verzahnung der Bahnhöfe mit dem urbanen Raum besonders gut sichtbar. Ähnliches, ebenfalls noch nicht ausgereiztes Potenzial bietet aber auch die bisher nur summarisch vorgestellte Eisenbahnliteratur. Systematisch zu erfassen ist an ihr, welche Metaphernkategorien (räumlich – performativ – bildlich – medial) für die beschleunigte Fahrt bevorzugt eingesetzt werden.

Passagen und ihre global auf den Plan tretende Nachfolger, shopping malls, müssen essentieller Bestandteil der Studie sein. Das ist in ihrer zweifach transformativen Funktion begründet: Erstens wird hier transitorischer Außenraum in Innenraum konvertiert. Zweitens wurde in Passagen unscheinbarer urbaner Zwischenraum in markanten transitorischen Raum verwandelt. Das ist nicht nur kulturhistorisch bzw. soziologisch, sondern auch metapherngeschichtlich relevant, findet hier doch eine Aufwertung des Dazwischen statt. Gerade deshalb war Walter Benjamin durch Passagen als epistemologisches Denkbild fasziniert. Im Projekt ist eine summarische Rekonstruktion von Grundzügen seiner Lektüre dieser Räume und ihrer Aneignungsweisen (Flânerie) zu leisten. Von hier aus soll auch die oben skizzierte Fortschreibung und Modifikation von streunenden oder schweifenden Bewegungen im kommerziellen/urbanen Raum mitsamt ihrer kritischen Wendung (dérive etc.) erschlossen werden. 

Vor allem aber ist eine Art ‚Metaphern-Update‘ zu leisten: Der Blick auf paradigmatische Bauten der soziökonomischen Moderne ist auf shopping malls bzw. center als ebenfalls doppelt konnotierte Zentralräume eines ‚Weltinnenraums‘ auszuweiten. Sie nahmen erstmals in dem von Victor Gruen erdachten, 1954 eröffnetem Southdale Center (Minn.) Gestalt an. Seitdem sind sie als regelrechte indoor-Modellstädten aus der Typologie des Transitorischen nicht mehr wegzudenken. Ein transhistorischer Vergleich soll die Frage nach dem Wandel von Konsumräumen stellen: Passagen des 19. Jahrhunderts bespielen urbane Zwischenräume oder stiften selbst Verbindungen zwischen meist belebten Plätzen; malls hingegen sind auffallend häufig Solitäre, da sie ja ursprünglich aus dem suburbanen Raum stammen. Seit den 1970er Jahren kolonisieren aber immer mehr auch Stadtzentren. Dominieren in malls, entsprechend der systemischen Schließung der globalen Konsumwelt, daher auch eher räumliche Endlosschleifen als Kontextanknüpfungen? Wie verhält es sich dazu, dass Studien aus der Stadtsoziologie dennoch ganz unterschiedliche Umgebungsbezüge von malls zu benennen vermögen? 

Herauszuarbeiten ist parallel konsequent, mit welchen Strategien dabei eine aussagekräftige Grundparadoxie generiert wird: Derartige Ensembles bezeichnen sich, in expansiver Hybris, als ‚cities‘ oder ‚villages‘. Sie siedeln aber traditionell im suburbanen Niemandsland oder auf urbanen Brachen. Bei Zentrumslage drohen zudem sie schließlich ihr urbanes Umfeld abzuwerten. Mit Blick auf suggerierte ‚urbane‘ Qualitäten wäre auch zu eruieren, welche ‚Stile‘ und Atmosphären dazu strategisch eingesetzt werden: Welche Images, gerade auch von Stadt, werden dabei in Zirkulation gebracht? Hier wäre angesichts des pseudo-öffentlichen Charakters von malls nach der Spannung von exklusiver Aura und faktischer Exklusion zu fragen. Kann man diese als Verschärfung der an Schwellensituationen häufig zu beobachtenden Trennungsrituale begreifen? Oder muss man eher vom bewussten Unterdrücken entsprechender Zäsuren ausgehen, weil nur so ein kontinuierlicher flow in diesen transitorischen Räumen der Gegenwart generiert werden kann?

Zu diskutieren ist auch, wie sich malls und Raummodelle wie der commercial strip und die ihn säumenden Architektur zueinander verhalten. strips sind prototypische Zonen des aus der flüchtigen Durchgangsbewegung heraus befriedigten Konsums (drive-in shopping). Passage und mall hingegen stellen aus dem urbanen Pattern ausgegliederte, überdachte Sonderzonen für Flânerie oder Shoppingtour dar. Der commercial strip nun aktualisiert die tradierte Verzahnung von Durchgangsverkehr unter freiem Himmel und geschützten Kommerzzonen oder -nischen. Relevant ist dieses Update, weil es im Falle des commercial strip auf der neuartigen Rolle von gesteigerter Automobilisierung beruht. Verbunden ist sie mit dem schnellen Wachstum neuweltlicher Städte und vor allem der fortschreitenden Suburbanisierung. Eine Untersuchung dieser azentrischen kommerziellen Zonen Amerikas scheint vielversprechender als etwa die des alteuropäischen Boulevards Pariser Prägung. Letzterer blieb trotz seiner Funktion in Stadterweiterungskampagnen sowie seiner tangentialen oder zirkulären Struktur letztlich zentrisch, auf die Kernstadt- oder zumindest -zone orientiert. Ist es überzeugend, das amerikanische Modell des automobilisierten, mit ‚Fahrgastzellen‘ bevölkerten strip im Gegensatz dazu als liberal-individualistisch geprägt zu sehen? Wie stark wirken hier, bei der von Kraftwagen befahrenen, neuweltlichen Geschäftszone, überhaupt entsprechende amerikanische Eigentraditionen? 

Im Projekt sind mögliche Faktoren dafür zu benennen, dass diese Fragen immer noch nicht abschließend beantwortet sind. Verantwortlich ist dafür sicherlich die Verbindung des ‚ordinären‘ Typus commercial strip mit der schon früh und immer wieder kritisierten urbanen Streuung. Hinzu tritt seine als marktschreierisch und vulgär gebrandmarkte Architektur. Am häufigsten treffen entsprechende Kritiken die Kommerz- und Gebrauchsarchitektur, die den Stadtraum von Los Angeles kennzeichnet. Zeitgleich mit dem Einzug des Automobils entstanden hier in den 1920er Jahren erste kommerzielle Zonen (Miracle Mile) mit auf beschleunigte Bewegung orientierter Architektur. So integrierte die dynamische Architektursprache des streamline moderne der 1930er Jahre Erfahrungen von Geschwindigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Rahmen eines urbanistischen Wachstumsschubs, brach diese Tendenz in opulenterer Form erneut hervor. Für diese Phase optimistischer Prosperität und gesteigerten Konsumverhaltens der sich verbreiternden Mittelschicht steht die auf breiter Front erfolgreiche Googie-Architektur. In der häufig geschwungenen Linie, gefalteten Struktur oder geometrisch-kantigen Form ihrer Dächer griff sie die Bewegung der Straße auf. Auch die parabolisch auf die Verkehrszone geöffneten Räume der urbanen ‚Oasen‘ wie diners, coffee shops und Tankstellen fingen sie offensiv ein.

Kann man dieser Architektur in Analogie zum fast-food-Produkt hamburger zu Recht einen Assemblage-Charakter zusprechen, der unterschiedliche Sinne ansprechen sollte? Welche Bezüge unterhält sie zudem zu medialen Formaten wie Cartoon, Film – gerade in LA omnipräsent – und Musikvideo? Welche Analogien bestehen zu Phantasiewelten wie Disneyland (Anaheim, CA) mit ihren futuristischen wie mobilitätsfixierten, nebeneinanderstehenden Themenwelten? 

Kategorial nicht weit entfernt vom suburbanen commercial strip der automobilen Millionenmetropole als auch von eklektizistischen Freizeitparks sind (sub-)urban entertainment zones wie der Las Vegas Strip. Mit allen aufmerksamkeitsökonomischen Mitteln konzentrieren sie am Straßenrand konkurrierende kommerziell-touristische Attraktionen (Glücksspiel, Entertainment-Shows, Resorts, Shopping etc.). Zudem versuchen sie transitorischen Raum konsequent zu einer Art Wahrnehmungstunnel zu schließen. Kann man sie daher nicht nur als extreme Synthese von Kommerzzeile und theme parc, sondern vielleicht sogar als outdoor-Varianten von malls beschreiben? Der Las Vegas Strip spiegelt zugleich, pars pro toto, Merkmale der durch ihn repräsentierten Stadt: Las Vegas selbst entstand nach 1900 bezeichnender Weise als reiner Haltepunkt (vor allem der Eisenbahn) im transitorischen Niemandsland. Heute fliegen Touristen aus dem globalen Raum gezielt für Kurzaufenthalte der Zerstreuung, Enthemmung und Erholung in diese moderne Oase in der neuweltlichen Wüste ein. Die Zugverbindungen sind eingestellt, in der Stadt selbst dominiert Autoverkehr. Auch hier sollte das automobile die Effekte der Suburbanisierung der Nachkriegszeit durch eine buchstäbliche ‚Erfahrung‘ des Stadtbildes (mehr als des Stadtraumes) auffangen, ja sogar zelebrieren. 

Darzustellen ist, wie auch diese Verflüssigung mit amerikanischen Identitätsmythen aufgeladen ist: In der transitorischen Sonderzone des Strip, Teil des Las Vegas Boulevard, etwa nimmt das organisierte Versprechen von Aufstieg und sozialer Mobilität Gestalt an – hier allerdings als anstrengungslose, durch Glücksspiel realisierte Variante. Lässt sich daraus schließen, dass hier eine nationale politische Vision (‚pursuit of happiness‘) bewusst zur (ästhetischen) Illusion wird? Wie verhalten sich Bewegung, (Zer)Streuung und Einheit der Stadt zueinander? 

Autoren der 1960er und 70er Jahre hatten beobachtet, dass am Strip Zeichen (signs) die klassische Architektur aufsaugen bzw. durch konsequente Oberflächigkeit aushöhlen. Ausführlicher als in bisherigen, rekonstruierenden Studien wäre zu eruieren, ob in dem Schlauch des Las Vegas Boulevard auch aktuell immer noch Zeichenwelten dominieren. Ein durch Begehungen und Recherchen vor Ort noch zu validierender Eindruck ist, dass sich hier seit einiger Zeit eine reale ‚Rückkehr des Raumes‘ konstatieren lässt, parallel zum sog. spatial turn. Die am Strip aufgereihten Casino-bzw. Hotelkomplexe mit ihren Entertainmentwelten und Shoppingzonen funktionieren auf den ersten Blick immer noch als zeichenhafte icons und eyecatcher. Auch blenden sie Abziehbilder prominenter Orte und Monumente aus dem nationalen wie internationalem Raum in Form einer compactage zusammen, narrativieren bzw. eventisieren diese zudem konsequenter denn je. Zusätzlich sind die entsprechenden phantasmagorischen Skripte perfektioniert worden – häufig übrigens mit dem Anspruch der Familientauglichkeit; macht heute doch das ehemalige Nebengeschäft des Waren- und Entertainmentkonsums den Hauptumsatz aus! Aber zugleich geht ein signifikanter Aufstieg der Flânerie damit einher. Wird hier also die Abkehr vom klassisch Monumentalen zugunsten eines radikal Transitorischen wieder rückgängig gemacht? 

Emphatische Interpreten der frühen 1970er Jahre hatten ja zugleich auch Bezüge zu historischen Raumformen hergestellt. Inwieweit können diese Verweise heute noch Beschreibungskraft entfalten? Dabei wäre nicht nur der Wandel von Raumstrukturen, sondern auch der Zeichensysteme selbst zu erfassen. Zeugnis ablegen von den semiotischen Häutungen paradigmatisch transitorischer Räume wie dem Strip können ‚Archive‘ der kommerziellen Zeichenwelten wie das Las Vegas Neon Museum. Hypothese kann bei ihrer Sichtung sein, dass der Strip Transitorik nicht nur in seine Raumstruktur, sondern auch seine eigene temporale Verfassung inkorporiert, mit immer kürzeren Halbwertzeiten. Wäre der Strip insofern in toto metaphorisch als filmisch zu beschreiben? 

In diese Richtung weist eine reiche konkrete mediale Rezeptions-, ja Überhöhungsgeschichte. Was wären, gerade im Vergleich zur ‚protofilmischen‘ Eisenbahnreise, die Spezifika dieser Medialisierung eines primär automobilen Raumes? Wie wird die bereits selbst geschichtsträchtige Allianz von Film und Bewegung heute in der Mojave-Wüste weitergeschrieben und thematisch angereichert? Welche Rolle spielt auch hierbei, sowohl hinsichtlich des Stadtraumes sowie der ihm korrespondierenden Medialität, amerikanische Nationalikonographie oder -mythologie: Pioniermythen, Transitorik als ‚uramerikanischer‘ Modus, Western(stadt)klischees, Hollywood selbst als Mythos etc.?

In Las Vegas, dieser ‚Oase‘ inmitten der Wüste Nevadas, sind alle Zeichen programmatisch auf Aktualität und Geschichtslosigkeit gestellt. Andere transitorische Räume mit dem Zeug zum Mythos sind inzwischen weitgehend musealisiert. Mustergültig kann das an Ellis Island aufzeigt werde, dem obligatorischen Durchgangsportal zu Amerika als dem land of promise. (Eine Modellversion dieser Empfangsstation ist Teil des New York Hotels von 1997 in Las Vegas.) Auf der Quarantäneinsel im Hudson River allerdings dominierte bis zur Schließung 1924 trotz hoher Anerkennungsquoten nicht Entspannung, sondern Stress der Ungewissheit. Die darauf reagierenden Erzählungen des heutigen Museums sind bereits anhand der Ausstellungsstruktur (Mastermetapher dabei: Mosaik; Moreno 2003) kritisch rekonstruiert worden. Stärker aber wäre auf das bauliche Erbe in seiner ursprünglichen Gestalt, aber auch auf die Strategien seiner Revitalisierung und die dabei verbindlichen Schwerpunkte zu schauen. 

Die historische Architektur selbst nutzt vertraute Muster – ungehinderten – Transits: In der ursprünglichen Schicht von 1900 dominieren etwa Übernahmen aus der Bahnhofsarchitektur. Zwar sollte die Architektur nach dem Wunsch der Bauadministration einen ‚amerikanischen‘ federal style mit begründen helfen. Aber typlogisch wie stilistisch lehnt sie sich eigentlich eher eng an Muster europäischer Provenienz (beaux-arts) an. Aufzuzeigen wären durch genauere Vergleiche auch Bezüge zu weiteren Elementen aus diesem Repertoire repräsentativer Großbauten wie römischen Thermen (körper- wie imperialpolitisch konnotiert) oder neuzeitlichen Museumsbauten. Vermutlich lassen sich mit Blick auf die Quarantänetrakte auch Muster der rationalistischen Hospitalarchitektur mit ihrem hygienistischen Funktionalismus erkennen. Wie verhält sich dazu wiederum die starke Sakralanmutung vor allem der registry hall, heute Kernstück des nationalen Erinnerungsortes (1990: Eröffnung des Ellis Island Immigration Museums)? 

Wie bewusst geplant war etwa die Blickführung der in dieser great hall Ankommenden, Bittsteller wie zukünftige Ressource der wachsenden Nation zugleich? Sollte die die für viele Immigranten entscheidende Ambivalenz der ‚island of hope, island of tears‘ hier also ganz bewusst dramaturgisiert werden? Wie werden auf der Insel überhaupt Schwellenrituale, die stets Trennungs- und Anknüpfungsanteile enthalten, verräumlicht? Lässt sich ihnen nicht nur eine Inszenierung des in den USA starken Sakralbezugs des Politischen sehen, sondern auch eine rituelle Legitimierung von ‚Bio-Macht‘? Ist es vertretbar, Ellis Island als Erinnerungsort zu interpretieren, an dem ein individuelles wie kollektives Geburtstrauma bzw. -erlebnis reinszeniert wird? Bestehen hier bisher nicht beachtete Bezüge zu einer anderen Insel im Großraum New York, die als heterotopischer Umkehrspiegel Manhattans fungierte: der Vergnügungsoase Coney Island, die die in der Stadt geltenden Regeln seit eh und je auf den Kopf stellt? In William H. Reynolds programmatisch benanntem Dreamland (1904) wurde ja ebenfalls das für die amerikanische Nationalmythologie zentrale Thema Geburt besonders inszeniert. 

Aber anders als das deviante, lange verfallende Coney Island ist das Gateway Ellis Island als Erinnerungsort kanonisiert. Welche erinnerungspolitisch motivierten Entscheidungen haben die Abfolge und Dramaturgien der Restaurierung des Ensembles bestimmt? Systematisch klärend wirken können hier vergleichende Bezüge zu einer weiteren Insel auf der anderen Seite des Kontinents: Angel Island in der San Francisco Bay. Es ist die zweite prominente, allerdings sogar noch weniger beforschte, unter den 24 historischen Immigrationsstationen am Rande des amerikanischen Nationalterritoriums. In der Zeit ihrer Funktion (1910-40) wurden über eine halbe Million Menschen über die Insel geschleust. Angel Island sollte primär Migration aus dem ost- und südostasiatischen Raum kanalisieren, vor allem Zuwanderung aus China (70%). Im Vergleich zu Ellis Island (2-3%) war die Rückweisungsquote (18%) viel höher. Ist so eine zu Ellis Island analoge Etikettierung als gateway oder stepping-stone überhaupt zu vertreten? Die Station wurde neben (süd-)ostasiatischen u.a. auch von russischen, indischen, lateinamerikanischen (mexikanischen) sowie europäischen Migranten durchlaufen. Eine analytische wie auch moralische Diskriminierung der Subjekte je nach nationalem bzw. ethnischem (‚racial‘) Status war dabei an der Tagesordnung. 

Hinzu trat eine weitere Ungleichbehandlung nach sozialen, geschlechtlichen oder ‚moralischen‘ Kriterien. Vermutlich war Angel Island wegen dieser Praktiken weniger bruchlos und zügig in eine nationale Erfolgs- und Integrationsgeschichte einzufügen als Ellis Island. An der Westküste lagen die Etappen der Anerkennung viel weiter auseinander als dort (markante Daten sind 1979, 1997 und 1999). Nicht nur im historischen, sondern auch im medialen Vergleich dürfte relevant werden, dass überhaupt das Hauptfeature in Angel Island nicht die Architektur (Baracken und rekonstruiertes detention-Gebäude) ist. Prominenter scheinen hier vor allem die auf die Wände geschriebenen und mittlerweile restaurierten Poeme der Insassen. Sie machen als buchstäbliche writing on the walls das Bauliche zum Träger von Erinnerungen und Schicksalsspuren, die von nicht Diskursmächtigen stammen. Welche Rückschlüsse lassen sich von hier aus wiederum auf Ellis Island ziehen? 

Diese historischen Nadelöhre repräsentieren die Immigrationsnation USA, die im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts paradigmenbildend war. Als weiterer, aktueller Bezug bieten sich die Orte und Praktiken der zurzeit stark von Fluchtbewegungen angesteuerten EU an, vor allem des bevorzugten Ziellands Deutschland. Es liegen bisher kaum architekturhistorische oder -theoretische Studien zu Architekturen für Geflüchtete in der BRD vor. Dass diese institutionell wie phänomenal sehr vielgestaltig sind, korrespondiert Problemen der adäquaten Begriffsbildung. Besonderes Augenmerk ist daher auf die Ambivalenzen und Spannungen zu legen, die diese Räume kennzeichnen. 

Wie sind bei diesen Durchgangs- und/oder ‚Endstationen‘ transnationaler Migration mikro- und makroräumlich Grenzüberschreitung und die Aufrichtung von vielfach gestaffelten Barrieren verzahnt? Wie verhält sich die Realität von tausendfach begangenen Transitrouten zur Rede von Übergänge kontrollierenden Transitzonen? Wie spielen Lokalisierung durch Aufenthaltszwang in halboffenen Sonderzonen und topologische bzw. rechtliche Entortung zusammen? Ist der historisch wie typologisch aufgeladene Terminus Lager angemessen, um das Wechselspiel von partieller Ex- und perspektivischer Inklusion in Wohnheimen oder Massenunterkünften zu erfassen? Kann man hier räumlich wie performativ verfasste Ein- und Ausgliederungsrituale beobachten? Lässt sich deren Präsenz also wirklich noch anthropologisch ergründen? Oder muss man auch das aus der Perspektive einer zeitkritischen Kulturwissenschaft, etwa mit dem Paradigma des third space, dekonstruieren? Parallel ist zu diskutieren, wie bei diesen ‚grauen Architekturen‘ visuelle, diskursive und disziplinäre Politiken der Sichtbar- und Unsichtbarmachung verzahnt sind.

Internationale Flughäfen sind die offiziellen Orte der globalen Massenmobilität des 20. und 21. Jahrhunderts. Hier werden täglich Passagiervolumina von der Größe ganzer Großstädte, jährlich in der Größe von Nationalbevölkerungen abgewickelt. An international hubs wie London oder Frankfurt sind mehr als die Hälfte aller Passagiere Umsteiger, also Transitpassagiere. Das macht Airports tatsächlich zu einer besonders interessanten Kategorie transitorischer Räume. Der globale Punktraum bzw. der international genutzte Luftraum stößt hier nur partiell noch auf Nationalterritorien sowie auf lokale Räume. Und wo diese Überlappung stattfindet, verläuft sie keinesfalls immer konfliktfrei. 

Welche sozialen und mentalen Raumkonzepte hier kollidieren, ist erstmalig differenziert zu skizzieren. Als aussagekräftig kann etwa gelten, dass Airports sich heute PR-wirksam als Städte (‚Airport-City‘) beschreiben. Sollte das nur als harmonischer Schulterschluss zu den alten urbanen Zentren oder Metropolräume zu deuten sein? Kommt es bei der Anlehnung an Stadtkonzepte eher zu Synergien/Konvergenzen oder eher zu Konkurrenzen? Inwieweit liegt im Anspruch, eine Stadt zu sein oder sie zumindest erfolgreich zu simulieren, eine primär rhetorische Suggestion vor? Oder werden von den immer weiter expandierenden wie sich differenzierenden Flughäfen tatsächlich funktionale wie symbolische Charakteristika von Städten übernommen? Womöglich ist dieser Prozess auch in umgekehrter Richtung zu denken.

Auch ist zu fragen, inwieweit die innere Differenzierung/Segmentierung von Flughäfen sich in die Komplexität der räumlichen Außenbezüge hineinspiegelt. Bei deren Rekonstruktion ist zu bedenken, dass Flughäfen transitorische Prozesse seit den 1980er Jahren verstärkt kommerziell nutzen. Ganze shopping sowie service center sind fester Teil von Airports. Sie fügen in die räumlichen Blasen des globalen Transits eine auch kommerzielle Transitorik ein. Architekturhistorisch ist systematischer als bisher zu klären, wie diese komplexen Durchdringungen baulich überformt werden. Denn bisher wurde in der Fachliteratur weniger auf Formen denn auf Abläufe geblickt. Das liegt auch in einem realen Trend begründet: Jüngere Airport-Terminals werden von vornherein nur noch auf Lebenszyklen von 20-25 Jahre angelegt. Werden sie so tatsächlich bloße Hüllen für austauschbare transitorische Prozesse, zu reinen Verbrauchsprodukten? Ist hier mit der radikalen Konzentration auf physische Zirkulation wie signaltechnische Abläufe eine ganz neue Qualität der antimonumentalen Ephemerisierung erreicht? 

Oder gibt auch Belege für die (Gegen-)These, dass sich vielleicht doch eine spezifische Monumentalität erkennen lässt, und zwar primär aus dem Luftraum – der Perspektive der Globalität? Lassen sich so vielleicht in der mittlerweile über ein halbes Jahrhundert langen Flughafenbaugeschichte Tendenzen beobachten, Terminals zu betont fernwirksamen ‚landmarks‘ oder weit sichtbaren ‚signature buildings‘ aufzubauen, die sich gerade über die Luftperspektive im Rahmen globaler Konkurrenzen verorten? Welche technoiden oder kommerziellen Leitbilder wie hohe Effizienz, schnelle Zirkulation, wirtschaftliche Strahlkraft oder futuristische Anmutungsqualitäten intervenieren dabei auch formal? 

Es lässt sich etwa seit einigen Jahren erneut – eine ultimative historische Formulierung liegt schon mit Eero Saarinens New Yorker Terminal für die Trans World Airlines (TWA) von 1962 vor – eine dezidierte Mimikry der Flughafenbauten an Vehikel des aeronautischen Zeitalters selbst beobachten (mustergültig: Fernbahnhof Flughafen Frankfurt, 1999/2011). Neu ist dabei, dass sie die hubs in Genese, Gestalt und Benennung (als ‚interfaces‘) metaphorisch zugleich der virtuellen IT-Welt einverleibt. Die ehemals vorherrschende Leitmetaphorik war noch primär die der Vehikel des ersten Weltraumzeitalters gewesen. Lässt sich mit Blick darauf vielleicht von einer neuen, zeitgemäßen, da netzwerktauglichen, Monumentalität des Transitorischen sprechen?

Wie liegen diese Aufladungen zu Diagnosen von Terminals, die mit dem kritischen Begriff des ‚Nicht-Ortes‘ arbeiten. In ihnen dominieren ja wirklich auffallend glatte, durch sog. unsichtbare Arbeit ‚clean‘ gehaltene Oberflächen, abgehängte Funktionsdecken und schriftliche wie ikonische Leitsysteme. Wie verhalten sich derartige Merkmale nicht nur zum etablierten Begriff des Monumentalen, sondern auch zu einem entsprechenden Verständnis von ‚Ort‘ – mit seinen primären Konnotationen von Verortung und Identität? Vermutlich liegt eine adäquate Antwort jenseits des Dualismus von Nicht-/Ort. Sie müsste z.B. berücksichtigen, dass die Terrains von Flughäfen selbst immer auch lokale Naturräume sind (in Frankfurt am Main etwa mit eigenem Förster). Zugleich binden sie diese aber auch in ein ganzes Geflecht erschließender oder sich anschließender transitorischer Technoräume ein – die selbst einen Landschaftsbezug aufweisen können. Kann man Flughäfen daher als quasi-natürliche hub-Landschaften und zugleich transitorische Super-Strukturen verstehen, in deren Vernetzung das Verhältnis von Raum und Nicht-/Ort immer wieder neu ausgehandelt wird? 

Diese Beziehung betrifft verschärft auch Asyl- bzw. Abschiebesituationen an Flughäfen – auch, weil ‚Nicht-Ort‘ hier konkret mit Unsichtbarkeit einhergeht, Ist es an Airports doch Ziel, diese Sondervorgänge den Augen einer mobilen Öffentlichkeit bzw. ‚kinetischen Elite‘ zu entziehen. Die gatekeeper-Funktion von Flughafenbauten erleichtert das Separieren und Verdecken von ‚Sonderfällen‘. Denn eigentlich sind die scheinbar so verbindenden Räume der international hubs von einer Vielzahl von Zugangsgrenzen, Raumdifferenzierungen und auch Blickbarrieren durchzogen. Flüchtlingsunterkünfte an Airports, die für den mit validen Reisedokumenten Ausgestatteten unsichtbar sind, stellen nur das deutlichste Beispiel einer Segmentierung nach identitäts-, sicherheitspolitischen oder ökonomischen Parametern dar: Sie sind in der Regel im visuellen Off von Transitbereichen lokalisiert, in Frankfurt etwa in der Cargo-City-Süd. Für Flüchtende selbst sind diese Räume Weggabelungen, an denen sich entscheidet, ob sie die eigentlichen ‚arrival cities‘, also Migration aufnehmende Zonen der Metropolen oder Megastädte, überhaupt erreichen. Beim Festhängen im Transitbereich kann es nicht nur zu paradoxen, sondern zu absurden Stillständen kommen, wenn nationale Bürokratien und die Eigenmacht des transitorischen Niemandslands zusammenwirken.

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© Markus Dauss

Publikationen aus dem Projektzusammenhang

  • International Airport: Hub, Gate or Lock? in: Franziska Reichenbecher / Gabriele Schabacher (Hg.), Medien des Gatekeeping. Akteure, Architekturen, Prozesse, Bielefeld 2025
  • Blicke am laufenden Band: Der Fahrsteig und die Mobilisierung der Wahrnehmung, in: Thomas Moser, Atreju Allahverdy (Hg.), Animated Architecture. Movement and Mobility in the Experience of Modern Architecture and Design, 2025
  • Treppengeschichten: zwischen Vogelnest und Scala Sancta, in: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, 2024 (https://www.kunstgeschichte-ejournal.net/626/)
  • Frankfurt am laufenden Band: Fahrtreppen im urbanen Raum der Mainmetropole, in: Robin Augenstein, Frank Schmitz (Hg.), IM/MOBIL – Schnittstellen zwischen Architektur und Technik, Bielefeld 2024, S. 155-180 (https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/a8/98/3b/oa9783839469361T2p4OmGwJKBPA.pdf)
  • 'Lichtarchitektur': Berliner Kinos des ‚Goldenen Zeitalters’, in: kunsttexte.de Nr.1, 2023 (DOI: https://doi.org/10.48633/ksttx.2023.1.94347)
  • 'Widerstand zwecklos': Über die Psychologie der Rolltreppe, in: Psychologie heute 3/2023, S. 81f.
  • Travailler les limites: Die Grenzen des frühneuzeitlichen Paris und die Entstehung des modernen Boulevards, in: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, 2022 (https://www.kunstgeschichte-ejournal.net/592/)
  • Architektur, Bewegung, Gewaltsamkeit: Poelzig, Mendelsohn – und Montage, in: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal, 2020 (https://www.kunstgeschichte-ejournal.net/585/)
  • InBetween: Impressionen des Suburbanen, in: Isabella Augart, Sophia Kunze, Teresa Stumpf (Hg.), InBetween. Formen und Deutungen des Dazwischen im Raum, 2020, S. 155-176
  • Fluchtraum: Architektur- und raumtheoretische Überlegungen zu Flüchtlingsräumen, in: Amalia Barboza/Stefanie Eberding/Ulrich Pantle/Georg Winter (Hg.), Räume des Ankommens, Bielefeld 2016, S. 83-100

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Prof. Dr. Markus Dauss

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