09. Oktober 2024

Objekt des Monats Oktober 2024 Objekt des Monats Oktober 2024

Detailaufnahmen dreier Skulpturen von Fritz Cremer präsentiert von Jasmin Roth

Detailaufnahmen dreier Skulpturen von Fritz Cremer präsentiert von Jasmin Roth

Detailaufnahmen dreier Skulpturen von Fritz Cremer
Detailaufnahmen dreier Skulpturen von Fritz Cremer © KHI Bonn
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Objektangaben:

Die drei Plastiken „Bildnis einer Schauspielerin“, „Kopf des Stürzenden aus dem Buchenwald-Denkmal“ und „Weg mit den Trümmern! I. (Aufbauhelfer)“ von Fritz Cremer

Urheber*in der Fotografie: vmtl. Christian Kraushaar

Entstehungszeit der Aufnahme: 1956

Technische Angaben: S/W-Abzüge auf Karton, je 14 x 9 cm

Provenienz: unbekannt

Inventarnummer: 051121 (A-C)

 

Kommentar:

In der Fotosammlung des Kunsthistorischen Instituts befinden sich acht Fotoabzüge, die Details von Köpfen der Plastiken des Künstlers Fritz Cremer zeigen, wobei „Kopf des Stürzenden aus dem Buchenwald-Denkmal“ und „Weg mit den Trümmern! I. (Aufbauhelfer)“ als exemplarische Werke des sozialistischen Realismus der DDR gelten.[1] Das Buchenwald-Denkmal [2] stellt die Selbstbefreiung der KZ-Häftlinge im Mai 1945 dar, wobei die Darstellung des „rein Menschlichen“ und der „seelischen Verfassung“ nicht den siegreichen Triumph, sondern auch das Leid und die Entbehrungen der Protagonisten zeigt.[3] Aus der zusammenhängenden Figurengruppe, deren kollektives Handeln und Solidarität nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch für den Sozialismus stehen, konzentriert sich die Fotografie jedoch nur auf den Ausdruck des „Stürzenden“, der zeigt, dass der Kampf nicht ohne Opfer gewonnen werden konnte.[4] Cremers erste in der DDR geschaffene Monumentalplastik, der Aufbauhelfer, der 1956 zusammen mit einem weiblichen Pendant vor dem Roten Rathaus in Berlin aufgestellt wurde, zeigt einen stereotypischen Berliner Arbeiter in zeitgenössischer Kleidung, der den Geist der Arbeiterschaft beim Aufbau der neuen, sozialistischen Hauptstadt symbolisieren sollte. Die realistische Darstellung eines Volkshelden sollte zum Vorbild eines neuen Menschenbildes werden.[5] Beide Werke sind typisch für den sozialistischen Realismus, da sie einen Konflikt ohne beschönigende Idealisierung darstellen.[6]

Der Bildhauer Fritz Cremer, der bereits vor der Gründung der DDR realistische Plastiken schuf und überzeugter Sozialist war, trat im Mai 1950 in die Deutsche Akademie der Künste [7] ein, unterrichtete Klassen zur Denkmalplastik und beteiligte sich an den Jahresausstellungen der Akademie.[8] Seinen Wunsch, am Aufbau der DDR und an der Entwicklung der sozialistischen Kunst mitzuwirken, brachte er in der Zeitung „Sonntag“ vom 19. Juni 1955 zum Ausdruck: „Bei uns in der DDR wird eine neue Gesellschaft und mit ihr eine neue Kunst geboren, und zwar eine sozialistische. [...] Heute aber wissen schon viele von uns, daß [sic] wir alle gemeinsam und zusammen entschlossen sind, ein neues Leben aufzubauen, daß [sic] auch die Kunst daran Anteil hat und daß [sic] diese Gemeinsamkeit die echteste Quelle künstlerischer Befruchtung darstellt.“[9]

Auffällig ist, dass die meisten der Abzüge Details der Köpfe und damit des Ausdrucks der Skulpturen wiedergeben; warum aber interessierte man sich an der Universität der bundesdeutschen Hauptstadt für die Kunst der DDR mit propagandistischem Wert? Die Fotografien stammen aus der Fritz Cremer-Ausstellung, die 1956 von der Deutschen Akademie der Künste organisiert wurde und in der Nationalgalerie Ost-Berlins stattfand.[10] Beim Vergleich mit dem Ausstellungskatalog fällt auf, dass die Abzüge des KHI aufgrund der gleichen Blickwinkel zwar von den Pressefotos stammen, die Christian Kraushaar im photographischen Atelier der Akademie anfertigte, jedoch nicht aus dem Katalog reproduziert wurden, wie kleine Unterschiede im Bildausschnitt (welcher in den Aufnahmen des KHI größer ist) und Bildauswahl zeigen.[11] 1956, vor dem Bau der Mauer und der Verschärfung anderer Abgrenzungsmaßnahmen gegenüber dem Westen, war eine Zusammenarbeit zwischen der DDR und der BRD an der Akademie durchaus möglich, wie das Vorwort zum Katalog der Jahresausstellung der Akademie 1956 vermerkt.[12] Generell scheint im KHI Bonn ein Interesse an Skulptur in der Tradition des Realismus zu bestehen, denn Werke von Künstlern wie Auguste Rodin, Ernst Barlach, Joachim Karsch oder Gerhard Marcks sind in der Sammlung zahlreich vertreten.[13]

Jasmin Roth

 

Anmerkungen:

[1] Nach sowjetischem Vorbild sollte der sozialistische Realismus die Ideologisierung und Erziehung der Gesellschaft umsetzen und wurde im Zuge der Formalismuskampagne zur verbindlichen Doktrin. Sozialistischer Realismus ist hier neben der Rückkehr zur Figürlichkeit weniger als Stilrichtung zu verstehen, sondern als Träger menschlicher und künstlerischer Werte. Vgl. Braun 2007, S. 26f., 51f.; Christ 1999, S. 68 – 70.

[2] Am 8. März 1952 erhielt Cremer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes den Auftrag für das Buchenwald-Denkmal, das am 14. September 1959 eingeweiht wurde und als erstes Hauptwerk des Sozialistischen Realismus in Deutschland gilt. In Abgrenzung zu den Taten des NS-Regimes sollte der Freiheitsschwur der zentralen Figur politisch der Legitimation des DDR-Staates und der Solidarität mit dem sowjetischen Sozialismus dienen. Vgl. Cremer/Rüger 2004, S. 46; Knigge 1995, S.106 – 112; Brüne 2005, S. 157f.

[3] Vgl. Cremer/Rüger 2004, S. 47; Lüdecke 1956, S. 8; Knigge 1995, S. 106 – 112; Brüne 2005, S. 26.

[4] Vgl. Lüdecke 1956, S. 20 – 25.

[5] Vgl. Ebd., S. 15 – 17; Cremer/Schmidt 1972, S. 62; Elfert 1999, S. 354f.; Brüne 2005, S. 128f.

[6] Vgl. Lüdecke 1956, S. 19.

[7] Mit der Intention, Kunst zur ideologischen Erziehung der Gesellschaft zu instrumentalisieren, wurde am 24. März 1950 die Deutsche Akademie der Künste als höchste kulturelle Institution neu gegründet und direkt der Regierung unterstellt. Vgl. Braun 2007, S. 35, 64; Ausst.-Kat. Berlin 1993, S.125f. Von der „Gewähr einer fortschrittlichen demokratischen Entwicklung Deutschlands“ sprach auch Otto Grotewohl in seiner Eröffnungsrede „Die Regierung ruft die Künstler“ der Akademie. Ausst.-Kat. Berlin 1993, S. 125.

[8] Vgl. Lüdecke 1956, S. 13; Ausst.-Kat. Berlin 1993, S. 20, 170; Brüne 2005, S. 105.

[9] Lüdecke 1956, S. 28. Trotz seiner politischen und künstlerischen Überzeugungen sprach Cremer auch gegen die Doktrin des sozialistischen Realismus und die Kulturpolitik der DDR: „Wir brauchen einen XX. und XXII. Parteitag auf dem Gebiet der Kultur. So, wie bisher, geht es nicht mehr weiter [...] Die sowjetische Kunst ist kein Vorbild für uns, sie ist kleinbürgerlich. Sie ist lediglich Nachholebedarf [sic] einer Arbeiterklasse, die ursprünglich aus Analphabeten bestand. Wir haben eine Arbeiterklasse, die einen hohen Bildungsstand hat. Die sowjetische Kunst ist im Grunde bürgerliche Kunst.“ Schütrumpf 1999, S. 79. Diese skandalösen Äußerungen und seine Ablehnung höherer Ämter an der Akademie führten jedoch nicht zu Repressionen oder seiner Verhaftung; als privilegierter, hochrangiger Künstler erhielt Cremer bei seiner Übersiedlung nach Berlin 1951 nicht nur ein eigenes Haus und ein großes Atelier, sondern auch die Möglichkeit, seine Werke außerhalb der DDR auszustellen und Publikationen über seine Kunst zu veröffentlichen. Vgl. Braun 2007, S. 137; Brüne 2005, S. 105f.

[10] Bei der Ausstellung handelte es sich bereits um die zweite Einzelausstellung Cremers der Deutschen Akademie der Künste. Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1951.

[11] Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1956 (1).

[12] Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1956 (2).

[13] Neben diesen stark sozialistisch konnotierten Plastiken sind in der Fotosammlung Abzüge des Denkmals für die Opfer des Faschismus in Wien vorhanden; die Ablehnung der Taten des NS-Regimes war auch in der BRD von Interesse.

 

Literatur:

Ausst.-Kat. Berlin 1951
Fritz Cremer, hg. von Deutsche Akademie der Künste (Ausst.-Kat. Berlin, Deutsche Akademie der Künste, 09.02. – 04.03.1951), Berlin 1951

Ausst.-Kat. Berlin 1956 (1)
Fritz Cremer, hg. von Gerhard Pommeranz-Liedtke (Ausst.-Kat. Berlin, Nationalgalerie, September – November 1956), Berlin 1956

Ausst.-Kat. Berlin 1956 (2)
Jahresausstellung Deutsche Akademie der Künste, hg. von Gerhard Pommeranz-Liedtke (Ausst.-Kat. Berlin, Deutsche Akademie der Künste, 17.11. – 31.12.1956), Berlin 1956

Ausst.-Kat. Berlin 1993
„Die Regierung ruft die Künstler.“ Dokumente zur Gründung der „Deutschen Akademie der Künste“ (DDR) 1945 – 1953, hg. von Petra Uhlmann & Sabine Wolf (Ausst.-Kat. Berlin, Stiftung Archiv der Akademie der Künste, 27.05. – 15.08.1993), Berlin 1993 

Braun 2007
Braun, Matthias: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit, Göttingen 2007

Brüne 2005
Gerd Brüne: Pathos und Sozialismus. Studien zum plastischen Werk Fritz Cremers (1906 – 1993) (zugl. Kassel, Univ., Diss., 2003), Weimar 2005

Christ 1999
Thomas Christ: Der sozialistische Realismus. Betrachtungen zum sozialistischen Realismus in der Sowjetzeit, Basel 1999

Cremer/Rüger 2004
Fritz Cremer & Maria Rüger (Hrsg.): Nur Wortgefechte? Aus Schriften, Reden, Briefen, Interviews 1949 – 1989, Potsdam 2004

Cremer/Schmidt 1972
Fritz Cremer & Diether Schmidt (Hrsg.): Fritz Cremer. Leben, Werke, Schriften, Meinungen, Dresden 1972

Elfert 1999
Eberhard Elfert: Monumentalplastik im Widerstreit der politischen Systeme in Ost- und West-Berlin, in: Paul Kaiser & Karl-Siegbert Rehberg: Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, Hamburg 1999, S. 353 – 372

Knigge 1995
Volkhard Knigge: Fritz Cremer. Buchenwald-Denkmal, in: Monika Flacke (Hrsg.): Auftragskunst der DDR 1949-1990, München 1995, S. 106 – 118

Lüdecke 1956
Heinz Lüdecke: Fritz Cremer. Der Weg eines deutschen Bildhauers, Dresden 1956

Schütrumpf 1999
Jörn Schütrumpf: Die politischen Determinanten und die Herausbildung der organisatorischen Strukturen von Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR 1949 – 1963, in: Paul Kaiser & Karl-Siegbert Rehberg: Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, Hamburg 1999, S. 59 – 83

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